Ich bin der wilde Adler und spiele in meinem Revier

Was hat es mit diesem Titel auf sich? Er ist das Motto-Ziel von Laura. Laura ist 17 Jahre alt, Leichtathletin und eine Hoffnungsträgerin mit viel Potenzial. Ihr älterer Bruder Luca ist ein begeisterter Mountainbiker und seit kurzem in der Nationalmannschaft. Wie du unschwer feststellen kannst, dreht sich in der Familie von Laura alles um den Sport.

Den Sport-Virus hat Laura von ihrem Vater Markus geerbt. Er war ein leidenschaftlicher Mountainbiker, der in der Pionierzeit des Mountainbikesports einige Rennen gewann. Es scheint so, als hätte Laura optimale Rahmenbedingungen für Topleistungen mitbekommen. Doch …

Verzweifelt und ratlos

Ein wenig verzweifelt und ratlos kontaktierte mich ihr Trainer Roger an einem Sonntagabend. Er erzählte mir ausgiebig von Laura. Ihrem Trainingsfleiss, ihrer professionellen Einstellung und ihrer Freude an Wettkämpfen. Dennoch kommt Laura nicht mehr vom Fleck. Seit rund einem Jahr lief sie keine persönliche Bestzeit mehr, ist oft müde und am Anschlag. Ihre Leistungen in der Schule sind schlechter geworden und zu Hause gibt es vermehrt Spannungen. Roger wusste nicht mehr weiter und vertraute mir seine Athletin an. Er sagte mir: „Vielleicht findet sie mit dir einen Weg aus ihrem Dilemma.“

Wie du sicher schon mitbekommen hast, arbeite ich sehr gerne mit unbewussten Sportmotiven. Nach dem ersten informellen persönlichen Kontakt mit Laura liess ich sie den Sportmotivtest ausfüllen. Dieser gab mir schon erste Hinweise, wo der Hase im Pfeffer liegen könnte. Laura hat ein überdurchschnittlich stark ausgeprägtes Freiheitsmotiv.

Keine Luft zum Atmen

Bei unserem ersten Gespräch – der Testbesprechung – war Laura sehr offen und sie bestätigte die Vermutung aus der Diagnostik. Ihr ganzer Wochen- und Tagesablauf war von A bis Z durchgeplant. Ihre Eltern unternehmen alles, damit ihr Bruder Luca optimale Bedingungen vorfindet und sie auch Laura noch gerecht werden können. Das geht nur mit einer minutiösen Planung. In der Familie von Laura ist alles durchstrukturiert. Ohne eine gute Organisation könnte sie das Training neben der Schule, den Hausaufgaben und den Wettkämpfen kaum bewältigen. Manchmal nimmt sie ihre Hausaufgaben zum Wettkampf mit und erledigt diese nach dem Einlaufen oder zwischen Vorlauf und Final.

Im persönlichen Gespräch sagte mir Laura:

„Ich habe keine Luft mehr zum Atmen und ich fühle mich manchmal wie in einem zu eng geschnürten Korsett“.

Als ich ihr die Testergebnisse präsentierte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Ohne lange nachzudenken sagte sie:

„Ich möchte doch einfach wieder einmal das tun, was ich will, frei und unabhängig sein. Einfach trainieren, wozu ich gerade Lust habe, und nicht immer genau nach Trainingsplan. Ich will Spass und mich selber verwirklichen.“

Das stark ausgeprägte Freiheitsmotiv von Laura wurde über einen längeren Zeitraum regelmässig frustriert. Daher kam ihre Leistungseinbusse. Das musste sich ändern. Aber wie?

Rahmenbedingungen schaffen

1. Selbstwahrnehmung fördern

Laura fiel es sehr schwer, ihre Bedürfnisse, ihren Körper und die Signale aus dem Unbewussten wahrzunehmen. Deshalb gab ich ihr die Aufgabe, während drei Wochen Tagebuch über Situationen führen, die bei ihr ein schlechtes Gefühl verursachen. Ausser der Situation notierte sie auch das zugehörige Gefühl und die Stärke des entsprechenden Gefühls sowie mögliche Verhaltensstrategien für zukünftige vergleichbaren Situationen. Wie und auf welche Art und Weise sie ihr Tagebuch führt, stellte ich ihr frei.

2. Motto-Ziel für Motiv erarbeiten

Laura wünschte sich ein Freiheits-Ziel, mit dem sie ihr Freiheitsmotiv leben kann. Deshalb erarbeitete ich mit ihr ein Motto-Ziel. Motto-Ziele sind eine Innovation von Maja Storch und Frank Krause, welche für das Zürcher Ressourcen-Modell (ein Selbstmanagement-Training) entwickelt wurden.

Weil du mit Motto-Zielen dein Unbewusstes ins Boot holst, wirken diese sehr motivierend und helfen dir, deine eigene Haltung zu verändern. Aus diesem Grund sind Motto-Ziele eine wertvolle Ressource für neue Handlungen.

„Carpe diem“, „No risk no fun“ oder „Wer wagt, gewinnt“ sind gute Beispiele für Motto-Ziele, wie du sie im Alltag antriffst und aus dem Volksmund hörst.

Laura fand einen Adler als Sinnbild für Weite, Unabhängigkeit, Freiheit, die Wildnis sowie das Spiel mit dem Wind und der Natur. Daraus formulierte sie sich das folgende Motto-Ziel:

„Ich bin der wilde Adler und spiele in meinem Revier!“

Dieses Freiheitsziel löste bei Laura eine starke positive Emotion aus. Sie hatte ein „glücksseliges Grinsen“, als sie ihr Motto-Ziel zum Besten gab.

Ihr Unbewusstes konnte damit „tanzen“ und es hat ihr die Kraft gegeben, ihre Situation zu verändern und Neues zu wagen.

Sie spickte ihre ganze Umgebung mit Adlerbildern und kaufte sich sogar ein Adlershirt für das Warm-up, damit sie auch vor dem Wettkampf an den freien, wilden Adler erinnert wird.

3. Trainer ins Boot holen und Motiv ansprechen

Mit der Erlaubnis von Laura vereinbarte ich einen Termin mit ihrem Trainer Roger. Ich erklärte ihm die wichtigsten Punkte aus der Diagnostik und wie er seine Athletin damit unterstützen kann. Der Schwerpunkt lag dabei auf ihrem wichtigsten Motiv, dem Freiheitsmotiv. Roger war sehr offen und neugierig, da es ein ganz neuer Ansatz für ihn war. Seine Aufgabe war es, Laura im Training die Möglichkeit zu geben, ihr Freiheitsmotiv zu leben.

Erste Erfolgserlebnisse

Bereits nach kurzer Zeit stellten sich die ersten Erfolge ein. Laura wurde gelassener, ihre Leistungen in der Schule verbesserten sich und ihr herzhaftes Lachen war wieder von weitem hörbar. Roger machte einen guten Job und gab ihr so viele Freiheiten wie möglich. Sie konnte ihren Trainingsplan mitbestimmen und übernahm mehr Verantwortung für sich selber. Wie die zwei das umsetzten, war für mich echt beeindruckend. Positiver Nebeneffekt:

Laura wurde selbständiger, nahm sich mehr Freiheiten und entscheidet heute selber, was ihr gut tut.

Wieder Luft zum Atmen

Laura gewann ihre Zuversicht zurück und strotzte ein halbes Jahr später bei den nationalen Meisterschaften vor Selbstvertrauen. Sie konnte wieder atmen! Sie lief locker und befreit bis in den Halbfinal. Im 400-m-Halbfinal liess sie es richtig krachen und verbesserte ihre persönliche Bestzeit um 0.9 Sekunden. Als Halbfinal-Zweite qualifizierte sie sich direkt für den Final. Das Glück sprudelte nur so aus ihr heraus. Jetzt wollte sie mehr.

Ihr Adler-Shirt zog sie erst kurz vor dem Final-Start aus. Sie setzte alles auf eine Karte. Wie im Halbfinal startete sie schnell und lief eine ausgezeichnete Startkurve. Es schien so, als würde sie fliegen. In einem hartumkämpften Rennen warf sie sich ins Ziel.

Dann der gewohnte Blick auf die Anzeigetafel. Laura verbesserte ihre persönliche Bestzeit erneut um sechs Hundertstel. Auf der Anzeigetafel leuchtete die persönliche Bestzeit und daneben die 4 auf. Jetzt flossen bei Laura die Tränen. Es ist gut verständlich, dass sich Laura im ersten Moment nicht über das Ergebnis freute, obwohl sie am Tag X ihre Leistung abrufen konnte. Zu gross war die Enttäuschung über die entgangene Medaille.

Mit ein wenig Abstand erkannte Laura, was für einen beeindruckenden Weg sie im letzten Halbjahr gegangen ist. Als sie das realisierte, zog es ihr die Mundwinkel weit nach hinten. Das „glückselige Grinsen“ machte sich wieder breit in ihrem Gesicht. Sie hat Blut geleckt und ist heute noch mit viel Freude und Elan im Training.

Der wilde Adler ist wieder in Freiheit!

Laura hat das Unbewusste im Boot und entscheidet selber, was gut für sie ist!

Sie ist der wilde Adler und spielt in ihrem Revier!

Fazit

Manchmal braucht es wenig, dass du wieder auf Kurs kommst.

1. Eine gute Selbstwahrnehmung hilft dir, deine Bedürfnisse zu erkennen. Entscheidend ist, dass du ihnen Beachtung schenkst.

2. Ein motivierendes Ziel, für das du brennst, gibt dir Kraft und Energie, deinen Weg zu gehen.

3. Eine motivgerechte Ansprache aktiviert deine ganz persönlichen Kraftquellen.

4. Ein Trainer, der weiss, um was es geht, kann dich gezielt fördern und fordern. Das braucht auch ein wenig Vertrauen von dir.

5. Ein wenig Mut und Neugier, neue Wege zu gehen und ausgetretene Pfade zu verlassen, schaffen neue Möglichkeiten.

Wenn du immer wieder das tust, was du immer schon getan hast, dann wirst du immer wieder das bekommen, was du immer schon bekommen hast. Wenn du etwas anderes haben willst, musst du etwas anderes tun!“ – Paul Watzlawick

Nutze deine Möglichkeiten

Martin

PS: Ich bin im Übrigen der Meinung, dass es sich lohnt, ausgetretene Pfade zu verlassen und Neues zu wagen.

PPS: Und mit dem Unbewussten im Boot geht alles ein wenig einfacher.

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