Wie eine Kampfansage zu einem Aha-Erlebnis führte

„Ich werde alles daransetzen, dass Sie nicht zu den Junioren Weltmeisterschaften gehen können.“ Das war die Aussage von einem meiner Lehrmeister, als ich mich 1989 etwas überraschend für die Junioren-Weltmeisterschaften im Eisschnelllaufen qualifizierte.

Mein Dilemma: Diese haben (fast) gleichzeitig mit meiner theoretischen Lehrabschlussprüfung stattgefunden.

Du kannst dir sicher gut vorstellen, dass ich mit dieser „empathischen und verständnisvollen“ Aussage ziemlich vor den Kopf gestossen wurde.

Ich verstand die Welt nicht mehr!

Verärgert und frustriert

Diese Aussage verletzte mich sehr. Ich war verärgert, traurig und frustriert. Vielleicht lag es auch an meiner Erwartungshaltung. Ich dachte, dass andere das auch toll finden, wenn ich mich sportlich engagiere und etwas erreichen will.

Nach der Schule und nach meinen Arbeitstagen im Labor habe ich meine ganze Freizeit für meine Trainings und Wettkämpfe eingesetzt. Im Winter habe ich mich am Freitag nach der Arbeit oft auf den Weg nach Inzell (D), Innsbruck (A) oder Collalbo (I) gemacht, weil es in Basel keine 400-m-Kunsteisbahn gibt.

Dennoch war ich am Montagmorgen immer pünktlich zum Arbeitsbeginn an meinem Arbeitsplatz oder im Lehrlabor.

Damals gab es noch keine Sportklassen oder Sportlerausbildungen. Ich musste mich gut organisieren, dass ich alles unter einen Hut bekommen habe.

Und dann brauchst du einmal eine Sonderregelung.

Was passiert? Du bekommst einen vor den Bug geschossen, weil irgend ein I…. zeigen muss, dass er der Chef ist, und seinen Frust, Neid oder was auch immer an dir auslassen muss.

WM-Traum oder Lehrabschluss

Natürlich habe ich meinen Frust kundgetan, geflucht und mich über diese Situation masslos geärgert.

Der Sportjournalistin Vreni Kümmerli ist das nicht entgangen. Sie hat im Februar 1989 in der Regionalausgabe vom Schweizer Boulevardblatt einen Artikel geschrieben, der mein Dilemma aufzeigte.

WMTraum

Dieser Artikel hat einige Steine ins Rollen gebracht, von denen ich nicht einmal wusste, dass sie rollen können.

Kurz nach dem Erscheinen des Artikels musste ich bei Henry Hoffmann antraben. Er war der damalige Leiter der Lehrlingsausbildung von F. Hoffmann-La Roche.

Seine erste Frage war, warum ich denn mit meinem Problem nicht zu ihm gekommen sei.

Gute Frage. Ich wusste nicht einmal, dass er auch für die Biologielaboranten zuständig war. Er hat sich viel Zeit für mich genommen. Wir haben uns gut unterhalten und ich bekam die Gelegenheit, ihm meine Situation zu schildern.

Er machte mir Mut und sagte, dass er für mich tun wird, was in seinen Möglichkeiten liegt.

Die Steine rollen

Ab diesem Moment kamen die Steine auf verschiedenen Ebenen ins Rollen. Was alles genau im Hintergrund passierte, weiss ich nicht genau. Ich denke, da ist einiges gelaufen oder gerollt 😉

Henry Hoffmann hat im Namen von Roche ein Verschiebungsgesuch an die Prüfungsleitung gesendet. Auch meine Eltern wurden aktiv. Mein Vater kannte den Prüfungsleiter Beda Zweifel aus früheren Jahren. Zusammen mit meiner Mutter hat er ein Schreiben an den Prüfungsleiter verfasst.

Jetzt hatte ich nicht mehr eine Person gegen mich. Auf einmal setzten sich mehrere Personen für mich und mein Anliegen ein. Sogar solche, mit denen ich vorher noch nicht einmal einen Berührungspunkt hatte.

Ich wusste, dass ich nicht alleine kämpfen musste.

Dies gab mir die Hoffnung, dass ich an der Junioren-WM teilnehmen und meinen Lehrabschluss machen konnte.

Aus ODER mach UND

Bis es so weit war, dauerte es noch einen Moment. Ich bin überglücklich gewesen, als ich die positive Nachricht erhalten habe. Das Schweizer Boulevardblatt lieferte etwas später dazu eine originelle Headline.

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Im Artikel sind auch die Personen zu Wort gekommen, die das möglich gemacht haben und mich mit meinem Anliegen unterstützt haben.

Beda Zweifel: „Wir sind der Meinung, dass wir jungen Leuten, die sich im Sport engagieren, helfen und nicht noch Schwierigkeiten bereiten sollten.“

Henry Hoffmann: „Als Martin mit seinem Problem zu mir kam, wollte ich ihm helfen. Ich tat es für den Bub.“ (Ein Bub war ich da nicht mehr 😉 )

Doris Feigenwinter: „Für uns Eltern standen die Prüfungen im Vordergrund. Aber die zwei Wochen sind nicht schlimm. Das ist wirklich grossartig. Und Martin ist so glücklich!“

Ich war in der Tat glücklich und freute mich riesig auf meinen ersten internationalen Grossanlass in Kiev. Damals gehörte Kiev noch zur UdSSR.

Erlebnis und Ergebnis

Die Junioren-WM wurde für mich zu einem tollen Erlebnis, bei dem ich Blut leckte für weitere Taten auf dem Eis.

Meine theoretische Lehrabschlussprüfung habe ich zwei Wochen später nachgeschrieben. Die Kosten für den Mehraufwand der Prüfungsverschiebung wurden von F. Hoffmann-La Roche grosszügig übernommen.

Für mich war die Abschlussprüfung die grössere Herausforderung als die Junioren-Weltmeisterschaft. Ich sass mutterseelenalleine im Theorieraum im Lehrlabor und habe zwei Tage Prüfungen geschrieben, so gut es ging.

Kannst du dich noch an den Lehrmeister erinnern, der mir sagte: „Ich werde alles daran setzen …“?
Er hat mir mein Prüfungsergebnis mitgeteilt.

Dies hat bei mir eine bleibende Erinnerung hinterlassen, wenn auch keine gute.

„Herr Feigenwinter,es tut mir leid, dass ich Ihnen mitteilen muss …“

Hier machte er eine lange Pause und ich dachte schon, sch ….,  und es lief mir kalt den Rücken hinunter. Dann hat er sich entschieden, den Satz doch noch zu Ende zu sprechen:

„…dass Sie Ihre Lehrabschlussprüfung bestanden haben. Herzlichen Glückwunsch.“

Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen und ein breites Grinsen machte sich in meinem Gesicht bereit. Meine Signale vom Unbewussten änderten sich blitzartig. Ich spürte dieses wohlige und angenehme Gefühl in der Magengegend und fühlte mich befreit.

Ich hatte es geschafft 🙂

Fazit

Manche Situationen scheinen ausweglos und die Lösung ist in weiter Ferne.

Doch es gibt (fast) immer eine Lösung.

Die Kampfansage nahm eine schöne Wende und führte bei mir zu einem Aha-Erlebnis und einer wichtigen Erkenntnis:

Glücklicherweise durfte ich das im Verlauf meiner Karriere immer wieder erleben. Dafür bin ich sehr dankbar.

Der Artikel entstand durch die Einladung zur „Aha-Erlebnis- und Erkenntnis-Blogparade“  von David Goebel. Vielen Dank für die tolle Idee!

In welcher Situation hast du unerwartet Unterstützung von deinem (sportlichen) Umfeld bekommen, die für dich ein erfreuliches Aha-Erlebnis war?

Ich freue mich, wenn du mir dein Aha-Erlebnis mitteilst.

Nutze deine Möglichkeiten!

Martin

PS: Ich bin übrigens der Meinung, dass jeder seinen Weg gehen sollte.

PPS: Und wenn du auf deinem Weg Unterstützung annehmen kannst, geht es noch besser.

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